Eine Reportage der Schülerreporter des Bösen Wolfes
Ein Besuch im internationalen Friedensdorf
Seit 47 Jahren nimmt das Internationale Kinderdorf in Oberhausen (Ruhrgebiet) verletzte und kranke Kinder aus Krisengebieten auf, um sie kostenlos in Krankenhäusern zu behandeln. Im Moment leben hier rund 200 kleine Patienten. Viele von ihnen stammen aus Afghanistan oder Angola.
Das Kinderdorf ist wie eine kleine Wohnsiedlung mit Straßen, Häusern und einem Fußballplatz. Wir treffen uns dort zusammen mit anderen Jugendlichen und Lehrern aus ganz Europa.
Mirjam Miggel arbeitet hier und führt uns durch das Dorf. Als wir ankommen fragt Gafu:
Hallo, sind es Besucher?
Gafu kommt aus Afghanistan. Gafu spricht sehr gut Deutsch wie die meisten Kinder hier, nach drei Monaten Krankenhaus haben sie es gelernt! Er weiß, wenn Mirjam da ist, dann kommt sie mit Besuchern. Die Kinder fragen immer, ob die Besucher nett sind, ob sie gut Fußball spielen, ob sie mit ihnen basteln, das sind immer die wichtigen Fragen.
Mirjam: Das Friedensdorf entstand 1967, als der Sechstage-Krieg im Nahen Osten begann: das war der Auslöser. Im Zweiten Weltkrieg sind sehr viele Bomben aufs Ruhrgebiet abgeworfen worden. Die Menschen hier wussten, was das ist, im Krieg zu leben und sie wollten Kindern aus den Kriegsgebieten helfen. Bürger aus Oberhausen haben sich also zusammengetan, einen Spaten in die Hand genommen und ein paar Häuser aufgebaut, das war der Beginn vom Friedensdorf vor bald 50 Jahren.
Alle sechs Monate kommen Kinder aus Angola oder Afghanistan nach Deutschland. Die Kinder, die im Dorf waren, fliegen zurück. Es gibt feste Flüge, z.B. im April und im November. Die meisten Kinder kommen am Flughafen Düsseldorf an, einer unserer großen Spender. Von da aus werden sie direkt in die Krankenhäuser in ganz Deutschland gebracht. 109 Kinder sind dieses Mal angekommen, um die 30 müssen in Krankenhäusern behandelt werden. Der Rest geht direkt ins Kinderdorf.
Welche Kinder werden im Friedensdorf aufgenommen?
In Angola sind viele Minenopfer. Man sagt, dass in Angola pro Einwohner eine Landmine vergraben liegt. Beim letzten Flug – man nennt es Einsatz – wurden also 109 Kinder genommen, aber es sind mehrere hundert Kinder den Ärzten vor Ort vorgestellt worden. Sie kamen aus verschiedenen Städten und Dörfern in Angola.
Wie sucht man sie aus?
Es wird kontrolliert, ob die Kinder aus ärmlichen Verhältnissen kommen, aus Familien, die sich keine medizinische Versorgung leisten können. Es gibt Krankheiten, wo man sagen muss, wie Krebs im Endstadium, dass auch in Deutschland nichts zu machen ist. Es wird den Familien erklärt, dass die Kinder ihre letzte Zeit bei ihrer Familie verbringen sollen. Das ist immer sehr traurig.
Außerdem wird geprüft, ob eine Behandlung der Kinder in ihren Heimatländern oder in den Nachbarländern möglich ist, vielleicht brauchen sie nur Medikamente, die dann gebracht werden. Jedes Mal, wenn ein Flugzeug Kinder zurückbringt, ist es vollgepackt mit Medikamenten, so dass sie immer in Absprache mit den Ärzten dort verabreicht werden. Dafür müssen die Kinder nicht nach Deutschland kommen.
Sind es Kriegsverletzungen?
Nicht immer, es muss nicht eine Schusswunde sein. Wir haben viele Verletzungen bei Kindern hier, die deswegen schlimm geworden sind, weil es keine Medikamente gab, kein sauberes Verbandsmaterial gibt oder keine sterilen Nadeln und Fäden, um etwas zusammenzunähen. Bei uns in Europa gibt man ein Antibiotikum und dann ist es wieder gut. Manche der Verletzungen kommen von einfachen Knochenbrüchen: der Knochen entzündet sich, und dann wird den Kindern das Bein amputiert oder sie können sogar daran sterben. Es sind Krankheiten, die es hier gar nicht geben würde, deswegen sind die Medikamente wichtig.
Wer kümmert sich um die Kinder, damit sie wieder gesund werden?
Es gibt Ärzte, die ehrenamtlich für uns arbeiten. Sie schauen vorbei, ob die Wunden und Entzündungen gut verheilen. Ansonsten gibt es ganz viel Verbandswechsel, 60 bis 70 am Tag, die hier kontrolliert werden. Alles, was medizinisch nicht in den Krankenhäusern gemacht werden muss, versuchen wir hier zu machen, um die Kosten möglichst gering zu halten.
Das Leben im Kinderdorf International
Das Kinderdorf ist wie ein Heim. Normalerweise sind es um die 200 Kinder, die hier wohnen und um die 100, die in Krankenhäusern sind. Jeden Tag kommt ein Kind aus dem Krankenhaus und ein anderes Kind muss zur Behandlung.
Hier sind die Kinder untereinander, sie haben ganz viel erlebt und können sich austauschen. Wenn ein Kind für ein halbes Jahr in einer Familie ist, dann ist es sehr schwierig für die Familie und für das Kind, wenn es wieder nach Hause geht. Außerdem hat es unseren westlichen Lebensstandard kennen gelernt, das macht es schwieriger. Wir versuchen die Kinder auf dem Boden zu lassen.
Es sind ganz einfache 4- bis 6-Bett-Zimmer, sie sind den ganzen Tag draußen, so dass sie nicht an die westlichen Sachen gewöhnt werden.
Hier haben wir eine Straße, die Rua Hiroshima, zusammengesetzt aus dem Portugiesischen Rua (Straße) - Angola war eine portugiesische Kolonie - und Hiroshima als Zeichen für unsere Dankbarkeit. Wir haben sehr viele japanische Freunde, die uns helfen.
Beim Fußballplatz wird manchmal auch Basketball gespielt. Es macht viel Spaß zu spielen. Es geht nicht um Leistung, ob man gut ist oder nicht, ist vollkommen egal.
Die Kinder sind hier, damit sie geheilt werden, aber wir versuchen den Kindern so viele Fähigkeiten wie möglich mit auf den Weg zu geben.
Zum Lernen gehört eine Holz- und Metallwerkstatt, in die vor allem Jungs gehen. Sie lernen mit ganz einfachen Sachen zu sägen und etwas zu bauen im Hinblick auf ihre Rückkehr und die Möglichkeit, dort eine Arbeit zu finden.
Das ist für die Feinmotorik sehr gut, weil viele Kinder haben Verletzungen an den Händen haben. Es wird auf spielerische Art gemacht und dann funktioniert es ganz gut.
Die Mädchen lernen nähen und stricken. Wenn die Mädchen nach Afghanistan zurückkommen und sagen würden, ich möchte in der Holz- und Metallwerkstatt arbeiten, wäre es schwierig. Deswegen richten wir uns danach, wie es in den Heimatländern ist.
Wenn die Kinder die Möglichkeit haben schreiben zu lernen, haben sie später in ihrem Land Vorteile. Die Analphabeten-Quote liegt nämlich bei 70 bis 80 Prozent.
Mariiam
Hier sitzt Mariiam, sie kommt aus Kirgistan. Sie kennt die Flagge ihres Landes und auch die von Deutschland und von Kirgistans Nachbarländern wie Usbekistan. Sie setzt sich und zeichnet sie sofort, ganz ruhig.
Sie kann ihren Namen schreiben, sie kennt die Buchstaben M A R und I.
Mariiam ist 7 Jahre alt, das sagt sie und lächelt, sie spricht leise. Sie zeichnet und schreibt mit der linken Hand, weil die Finger ihrer rechten Hand fehlen.
Ich habe ihr gezeigt, wie man andere Buchstaben schreibt: K G S T N und dann konnte Mariiam KIRGISTAN schreiben. Und auch U und E dazu, das ergab DEUTSCH. Dann hat sie sich die Namen aller Flaggen, die sie gezeichnet hatte, aufgeschrieben. Es war ganz toll zu sehen, wie Mariiam ganz schnell gelernt hat. So als wollte sie keine Zeit, keine Minute in der Stunde, die wir zusammen mit den anderen Kindern und der Gruppe verbracht haben, verlieren.
Dann hat Mariiam ihre Jacke angezogen, ihre Mütze aufgesetzt. Plötzlich ist ihr etwas eingefallen. Sie hat ein Heft über das Kinderdorf geholt und ganz allein das Wort KINDERDORF aufgeschrieben. Ich habe viel von Mariiam gelernt, viel mehr als sie von mir, hatte ich das Gefühl. (Martha)
Kinder als Botschafter des Friedens
Hier finden die Kinder viele Freunde. Die Mitarbeiter gewinnen die Kinder lieb, aber im Grunde freuen sich die Kinder immer unendlich, wenn es wieder nach Hause geht. Das ist das Ziel des Friedensdorfes, denn wir wollen, dass die Kinder sich auf ihr Zuhause freuen. Alle Kinder gehen zurück, es wartet immer jemand auf sie.
Die Kinder werden zu kleinen Botschaftern des Friedens, wenn sie nach Hause kommen. Hier lernen sie, dass Sprachbarrieren und Religionen nichts zu bedeuten haben, dass man friedlich leben kann, große Kinder unterstützen kleine Kinder.
Finden die Kinder das Leben nicht schöner hier, so ohne Krieg?
Das ist das westliche Denken, das wir haben. Wir denken, dass in diesen Ländern alles so schlecht ist, aber wenn man die Kinder selber fragt, sie wollen alle gern nach Hause. Sie sagen, aber in Angola ist es so schön und hier riecht alles komisch, hier schmeckt das Essen nicht so wie Mama es kocht. Es ist nicht so, dass die Kinder denken, bei uns haben wir kein schönes Leben. Wir können so viel von den Kindern lernen. Der Familienzusammenhalt ist zum Beispiel in den Ländern ein ganz anderer, das ist eine große Bereicherung. Natürlich sind die Lebensumstände anders, aber es sind keine unglücklichen Menschen, die da leben.
Kostet das Kinderdorf sehr viel Geld?
Um das Alltagsgeschäft am Laufen zu halten werden jedes Jahr um die 7 bis 9 Millionen Euro gebraucht. Es sind Spenden, die zumeist von kleinen privaten Spendern eingehen. Es ist jedes Jahr aufs Neue schwierig und ungewiss, ob genügend Spenden zusammenkommen, um das nächste Jahr bestreiten zu können, aber die Stadt Oberhausen und das Friedensdorf gehören zusammen. Die Bewohner unterstützen das Kinderdorf enorm.
Hier arbeiten ungefähr 50 hauptamtlich Angestellte, also Menschen, die für ihre Arbeit bezahlt werden.Es gibt auch immer noch viele Menschen, die sich engagieren, gerade unter jungen Leuten.
Es sind ganz viele Ehrenamtliche, die hier helfen - in den verschiedenen Krankenhäusern überall in Deutschland, aber auch hier im Dorf, sei es bei den Fahrdiensten - auch für die Krankenhäuser -, sei es nur in der Küche, dass jemand kommt und die Kartoffeln schält für 400 Leute. Da gibt es immer sehr viel zu kochen. Die Kinder haben Appetit!
Wann geht ein Kind nach Hause?
Wenn die Kinder wieder gesund sind, sie werden alle zum Arzt geschickt, ob alles in Ordnung ist und wenn das medizinische OK da ist, werden sie zurückgeschickt.
Gafu: Morgen gehe ich nach Hause
Mirjam Miggel: Ja, morgen gehen nämlich unsere Kinder aus Afghanistan nach Hause… Aber auch aus Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan, Georgien, Armenien. Es sind ganz viele Kinder und das ist ein Riesenfest. Jeder kriegt eine dicke Tasche mit ganz vielen Sachen, mit einem Spielzeug, mit Fotos, die hier gemacht wurden, Anziehsachen und Sachen für zu Hause, weil es in Afghanistan in den Bergen zum Beispiel sehr kalt ist.
Das ist die schönste und aufregendste Zeit im Jahr, wenn Kinder nach Hause gehen dürfen.
Reportage: Ulysse und die Redaktion
Bilder: Anissa, Gaïa, Leopold, Solveig, Maé, Félix (Kinderredaktion Grand méchant loup)
Texte und Bilder © Grand méchant loup | März 2015